Beitrag von Patricia Nonnenmacher und Lena Kannenberg
In diesem Beitrag beschäftigen sich Patricia Nonnenmacher (Gründungsmitglied und Vorstandsvorsitzende von RuN) und Lena Kannenberg (Doktorandin im Klimaschutzrecht und Ressortleiterin bei RuN) damit, welche Bedeutung dem Nachhaltigkeitsrecht für angehende Jurist*innen zukommt und warum auch die juristische Ausbildung in Deutschland "nachhaltiger" werden muss.
I. “‘Climate Change isn’t Optional’: Climate Change in the Core Law Curriculum”
Im November 2022 veröffentlichte eine Dozentin der Durham University zusammen mit drei ihrer ehemaligen Student*innen einen Artikel, in dem sie die fächerübergreifende Integration des Klimarechts[1] in den Pflichtstoff des britischen Jurastudiums fordern.[2] Die Verfasser*innen verweisen dafür auf das intrikate und stetig wachsende “Netz” des Klimarechts auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene und dessen weitreichende Auswirkungen auf die Gesellschaft. Da das international vereinbarte Ziel der Klimaneutralität[3] eine gesamtgesellschaftliche Transformation erfordere, reiche es für Jurist*innen heute nicht mehr aus, ausschließlich die einzelnen Klimaschutzgesetze und -ziele zu kennen. In der juristischen Praxis sei darüber hinaus auch ein Verständnis der gesellschaftlichen Implikationen dieser Normen und ihrer Auswirkungen auf andere (nicht primär klima-)rechtliche Materien erforderlich. Die Verfasser*innen sprechen sich deshalb dafür aus, das Klimarecht schon im Rahmen der juristischen Ausbildung als Querschnittsmaterie zu behandeln und rechtsgebietsübergreifend zu unterrichten. Wir schließen uns dieser Forderung grundsätzlich an und möchten den Aufsatz zum Anlass nehmen, die Bedeutung des Klimarechts in der deutschen juristischen Ausbildung kritisch zu reflektieren. Zudem möchten wir erläutern, warum es sich aus unserer Sicht lohnen dürfte, über das Klimarecht hinaus weitere Aspekte des Nachhaltigkeitsrechts im juristischen Curriculum zu berücksichtigen.
II. Die Bedeutung des Klimawandels für die Jurist*innen der Zukunft
Der Klimawandel stellt ein globales Problem dar, das weitreichende und gravierende Auswirkungen auf das gesellschaftliche Zusammenleben haben wird. In seinem im März 2023 vorgestellten Synthesebericht zum sechsten Sachstandsbericht hat der Weltklimarat (IPCC) festgestellt, dass die extreme Hitze die menschliche Gesundheit schon heute belastet und besonders klimasensible Wirtschaftssektoren wie Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Fischerei, Energiewirtschaft und Tourismus bereits signifikante wirtschaftliche Nachteile erleiden.[4] Um ein Fortschreiten dieser Entwicklung und im Ergebnis eine gefährliche anthropogene Störung des Klimasystems zu verhindern, muss die globale Erderwärmung daher möglichst auf 1,5 Grad begrenzt werden.[5] Aufgrund des nahezu linearen Zusammenhangs zwischen den anthropogenen CO2-Emissionen und dem globalen Temperaturanstieg[6], bedarf es dafür zunächst einer drastischen Reduzierung der globalen Treibhausgasemissionen bis hin zur Klimaneutralität.[7]Um diese Ziele zu erreichen, ist das Recht als transformatives Instrument unerlässlich. Völkerrechtlich vereinbarte Klimaziele müssen von den einzelnen Staaten (und der europäischen Union) in rechtlich verbindliche CO2-Budgets und anschließend in konkrete Maßnahmen übersetzt werden. Die EU hat sich als Vertragspartei des Pariser Klimaabkommens deshalb gemeinsam mit ihren Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 40% im Vergleich zu 1990 zu reduzieren und möchte bis 2050 Klimaneutralität erreichen. Deutschland hat sich in § 3 I, II KSG konkrete Emissionsminderungsziele für die Jahre 2030 und 2040 gesetzt und das Ziel der Treibhausgasneutralität sogar für das Jahr 2045 festgeschrieben. In seinem sog. “Klimabeschluss” hat das Bundesverfassungsgericht im März 2021 diesbezüglich festgestellt, dass “bei heutiger Lebensweise noch nahezu jegliches Verhalten unmittelbar oder mittelbar mit dem Ausstoß von CO2 verbunden” ist, sodass das Ziel der Treibhausgasneutralität nur durch “weitreichende Transformationen” erreicht werden kann.[8]
Die Anwält*innen der Zukunft müssen in der Lage sein, diese weitreichenden Auswirkungen der erforderlichen Klimaschutzmaßnahmen auf Wirtschaft und Gesellschaft zu verstehen, um ihre Mandant*nnen umfassend beraten zu können.[9] In einer Befragung, die im März 2023 im Rahmen des Podcast-Projekts “Klimaparagrafen” von LTO mit knapp 30 Kanzleien durchgeführt wurde, teilte beispielsweise die Wirtschaftskanzlei Clifford Chance mit, dass mittlerweile fast alle Mandate einen Bezug zu ESG[10] aufwiesen. Aber auch Richter*innen, Rechtsanwender*innen und Policymaker*innen sehen sich in der Praxis immer häufiger mit klimarechtlichen Fragestellungen konfrontiert.[11]Der US-Klimabeauftragte John Kerry stellte 2021 beim Jahrestreffen der Juristenvereinigung American Bar Association daher treffend fest: “You are all climate lawyers now, whether you want to be or not”.[12]
Wirft man nun einen Blick auf die juristische Ausbildung in Deutschland, wird schnell klar, dass dem Klimarecht hier bislang noch keine vergleichbar große Bedeutung beigemessen wird. Aktuell finden universitäre Lehrveranstaltungen zum Klima- und Umweltrecht in Deutschland fast ausschließlich im öffentlichen Recht statt.[13] Wollte man die Relevanz des Klimarechts für alle Bereiche des Rechts berücksichtigen, so fordern es die Verfasser*innen des Research Artikels für das britische Jurastudium, müsste eine Einbindung in die Lehre jedoch entsprechend des Prinzips des ‘climate mainstreamings’ erfolgen. “Climate mainstreaming” bezeichnet grundsätzlich eine systematische Handlungsweise, die bei allen politischen, wirtschaftlichen und ähnlichen Entscheidungen grundsätzlich die Belange des Klimaschutzes berücksichtigt.[14] Auf die juristische Ausbildung lässt sich dieses Konzept dergestalt übertragen, dass das Klimarecht in allen Rechtsgebieten jeweils dort behandelt wird, wo es relevant werden kann.
III. Die Klimakrise: nur eine Krise von vielen im Anthropozän
Die Forderung nach einem ‘climate mainstreaming’ des juristischen Curriculums finden wir begrüßenswert. Aus unserer Sicht greift der Fokus auf das Klimarecht allein allerdings noch zu kurz. Bei genauerer Betrachtung sind es nämlich nicht nur klimarechtliche Fragestellungen, die an gesellschaftlicher Relevanz und an Bedeutung für die juristische Praxis gewinnen. Denn der Klimawandel stellt nur eine der vielen, sich wechselseitig bedingenden ökologischen und sozialen Krisen unserer Zeit dar. Daneben sind insbesondere das Artensterben, die Zerstörung von Ökosystemen, die Ausbeutung von Ressourcen oder die durch wirtschaftliche Profitmaximierung verursachte Verletzung von Menschenrechten zu nennen.[15] Um diese Krisen zu bewältigen, bedarf es einer gesamtgesellschaftlichen Transformation, die über die Reduktion von Treibhausgasen und die Anpassung an veränderte klimatische Bedingungen weit hinausreicht und soziale, ökologische und intergenerationelle Belange berücksichtigt.[16] Die Vielschichtigkeit dieser Herausforderung (und der hieraus resultierenden rechtlichen Fragestellungen) spiegelt sich in einem ständig wachsenden Netz aus Kodifikationen im Völker-, Europa- und nationalen Recht wider, die sich unter dem Begriff Nachhaltigkeitsrecht zusammenfassen lassen.[17] Zentrale Ziele des Nachhaltigkeitsrechts sind neben der Bekämpfung des Klimawandels vor allem der Schutz biologischer Vielfalt, die Bewahrung von Ressourcen für künftige Generationen und der Schutz vulnerabler Personen(gruppen) vor Armut und Ausbeutung. Auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene gibt es inzwischen ein umfangreiches und stetig wachsendes Geflecht aus Kodifikationen, die der Förderung dieser Ziele dienen. Nur beispielhaft seien hier allein aus dem vergangenen Jahr das Kunming-Montreal-Biodiversitäts-Rahmenwerk im Völkerrecht, die EU-Richtlinie zur Nachhaltigen Unternehmensberichterstattung und das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz genannt.
IV. Das Nachhaltigkeitsrecht in der juristischen Ausbildung
Da das Klimarecht aus unserer Sicht nur ein “Puzzleteil” in diesem größeren Kontext darstellt, möchten wir uns dafür aussprechen, das umfassendere Nachhaltigkeitsrecht in der juristischen Ausbildung zu berücksichtigen. Dabei sollte auch das Nachhaltigkeitsrecht nicht als eigenständige und abgrenzbare Materie im Rahmen einer eigenen Veranstaltung unterrichtet werden. Das dürfte sich schon deshalb schwierig gestalten, weil der Nachhaltigkeitsbegriff selbst in der Rechtswissenschaft mit stark changierender Bedeutung verwendet wird und das den Zielen der Nachhaltigkeit verpflichtete Recht enorm umfangreich ist.[18] Die juristische Ausbildung sollte sich hier (wie auch sonst) auf die Vermittlung der Grundlagen fokussieren und diese dem Querschnittscharakter des Nachhaltigkeitsrechts entsprechend im Wege eines “sustainability mainstreamings” über die verschiedenen Rechtsgebiete hinweg behandeln. Dabei ist selbstverständlich auch uns bewusst, dass die deutsche juristische Ausbildung insbesondere Systemverständnis und Methodik vermitteln soll und jede Erweiterung des ohnehin bereits (zu) umfangreichen Prüfungsstoffes zu einer Intensivierung der Belastung bei Student*innen und Referendar*innen führt. Wir sind dennoch der festen Überzeugung, dass Student*innen und Referendar*innen von einem “sustainabilty mainstreaming” der juristischen Ausbildung profitieren würden. Denn zum einen lassen sich juristische Kernkompetenzen selbst an klima- und nachhaltigkeitsrechtlichen Fragestellungen vermitteln.[19] Zum anderen können die Richter*innen, Anwält*innen oder Policymaker*innen von morgen so die inzwischen in der Praxis geforderte Kompetenz erwerben, sich souverän in einem stetig wachsenden Framework aus internationalem, europäischem und nationalem (Klima- und) Nachhaltigkeitsrecht zu bewegen.
V. Ausblick
Es stimmt uns positiv, dass in der Vergangenheit vergleichbaren Bedürfnissen der Praxis in der juristischen Ausbildung schon Rechnung getragen wurde. Beispielsweise wurde die Relevanz des ebenfalls zukunftsträchtigen Themas „Legal Tech“ im bayerischen Referendariat gerade durch die Einführung eines neuen Berufsfelds gewürdigt.[20] Und auch an der LMU gibt es inzwischen eine Vorlesung “Klimaschutzrecht” von Prof. Dr. Martin Burgi, die einen Überblick über den maßgeblichen Rechtsrahmen gibt, sowie vermehrt Grundlagen- und Schwerpunktseminare mit Bezug zum Klima- und Nachhaltigkeitsrecht. Für die zukünftigen Student*innen und Referendar*innen wünschen wir uns, dass diese Ansätze nur den ersten Schritt hin zu einer „nachhaltigeren“ juristischen Ausbildung darstellen.
[1] Der Begriff Klimarecht wird für die Zwecke dieses Beitrags in einem weiten Sinn als Oberbegriff für Klimaschutzgesetze, Klimamaßnahmengetze und solche Rechtsnormen genutzt, die jedenfalls auch dem Ziel des Klimaschutzes dienen.
[2] Bouwer/John/Luke/Rozhan, ‘Climate Change isn't Optional’: Climate Change in the Core Law Curriculum, Legal Studies 2022, S. 1-19, https://www.cambridge.org/core/journals/legal-studies/article/climate-change-isnt-optional-climate-change-in-the-core-law-curriculum/8EAA5AF2535119104463D4377D491896 [zuletzt abgerufen am 09.05.2023].
[3] Der Begriff wird in der Regel synonym verwendet mit dem Begriff der Treibhausgasneutralität, die in § 2 Nr. 9 KSG definiert ist als “Gleichgewicht zwischen den anthropogenen Emissionen von Treibhausgasen aus Quellen und dem Abbau solcher Gase durch Senken”.
[4] IPCC, Synthesis Report of the IPCC Sixth Assessment Report, Summary for Policymakers, S. 6, https://www.ipcc.ch/report/ar6/syr/downloads/report/IPCC_AR6_SYR_SPM.pdf [zuletzt abgerufen am 09.05.2023].
[5] Art. 2 S. 1 Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen und Art. 2 Abs. 1 Nr. a) Pariser Klimaabkommen.
[6] Vgl. BVerfG v. 24.03.2021 - 1 BvR 2656/18, Rn. 32.
[7] Art. 2 S. 1 Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen, Art. 4 Abs. 1 Pariser Klimaabkommen.
[8] BVerfG v. 24.03.2021 - 1 BvR 2656/18, Rn. 37, diese Feststellung erlangt zusätzliches Gewicht vor dem Hintergrund, dass zum Zeitpunkt des “Klimabeschlusses” das Erreichen der Treibhausgasneutralität sogar erst für das Jahr 2050 geplant war.
[9] So auch Bouwer/John/Luke/Rozhan, “‘Climate Change isn’t Optional’: Climate Change in the Core Law Curriculum” 2022, S. 3, https://www.cambridge.org/core/journals/legal-studies/article/climate-change-isnt-optional-climate-change-in-the-core-law-curriculum/8EAA5AF2535119104463D4377D491896 [zuletzt abgerufen am 10.04.2023].
[10] ESG steht für die Begriffe environmental, social und governance und wird häufig mit Nachhaltigkeit im Kontext der Unternehmensführung (corporate governance) gleichgesetzt, siehe dazu die Zusammenfassung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) unter https://www.bafin.de/SharedDocs/FAQs/DE/Verbraucher/NachhaltigeGeldanlage/01_esg.html [zuletzt abgerufen am 12.05.2023].
[11] Vgl. die Darstellung der Initiative des World Lawyers Pledge on Climate Action unter https://lawyersclimatepledge.org/full-text/[zuletzt abgerufen am 12.05.2023]; für einen Überblick über die weltweit anhängigen Klimaklagen siehe die Global Climate Change Litigation Database des Sabin Centers for Climate Change Law der Columbia Law School unter http://climatecasechart.com/non-us-climate-change-litigation/ [zuletzt abgerufen am 12.05.2023].
[12] https://www.reuters.com/legal/litigation/you-are-all-climate-lawyers-now-john-kerry-tells-aba-2021-08-05/ [zuletzt abgerufen am 12.05.2023].
[13] Siehe für einen Überblick über die angebotenen Veranstaltungen Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften e.V., Gutachten “Klima im Recht”, S. 8, https://bundesfachschaft.de/wp-content/uploads/2021/03/Workshop-II-Klima-im-Recht-ZwiTa-Feb-2021.pdf [zuletzt abgerufen am 12.05.2023].
[14] https://www.duden.de/rechtschreibung/Klima_Mainstreaming [zuletzt abgerufen am 12.05.2023].
[15] Zu einem Überblick über die sich gegenseitig bedingenden globalen Krisen, siehe United Nations, The Sustainable Development Report 2022, S. 3, einsehbar unter https://unstats.un.org/sdgs/report/2022/The-Sustainable-Development-Goals-Report-2022.pdf[zuletzt abgerufen am 12.05.2023]; für eine deutsche Perspektive Reusswig, in: Berger/Frohn/Schell, Biodiversitätsverlust, Klimawandel und Covid-19-Pandemie, Zum Verhältnis bestehender Krisenlagen, S. 21, https://bfn.bsz-bw.de/frontdoor/deliver/index/docId/1089/file/Schrift641.pdf#page=22 [zuletzt abgerufen am 12.05.2023].
[16] United Nations, The Sustainable Development Report 2022, S. 3.
[17] Für eine Übersicht über die Rezeption des Nachhaltigkeitsbegriffs im Recht, siehe Pieraccini/Novitz, Sustainabilty and Law: A Historical and Theoretical Overview, in Pieraccini/Novitz, Legal Perspectives on Sustainabilty, S. 9 ff.; Sieben, NVwZ 2003, 1173.
[18] Sieben, NVwZ 2003, 1173 (1173).
[19] Beispielsweise ließe sich die Reichweite des mängelrechtlichen Beschaffenheitsbegriffs an der Frage diskutieren, ob die nur vorgegebene Nachhaltigkeit einer Sache kaufrechtliche Mängelrechte auslösen kann, siehe Beck, NJW 2022, 3313.
[20] Vgl. dazu diese Pressemitteilung: https://www.bayern.de/bayerische-justiz-setzt-it-recht-und-legal-tech-auf-den-lehrplan-neues-berufsfeld-fuer-rechtsreferendare-ab-juli-2023/ [zuletzt abgerufen am 12.05.2023].
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