Klimastrafrecht – ein neues Rechtsgebiet? Was bei erster Betrachtung ganz vertraut klingt, existiert in Wahrheit noch gar nicht. Zusammen mit Herrn Professor Satzger hatten wir am 19. Januar die Gelegenheit, ein echtes Stück Neuland zu erkunden.
Bei der Bekämpfung des Klimawandels war das Strafrecht bislang nur so etwas wie der Sidekick des Verwaltungsrechts. Während das Verwaltungsrecht – ähnlich wie beim Umweltstrafrecht – Grenzwerte und Genehmigungen regelt, springt das Strafrecht erst ein, wenn hiergegen verstoßen wird. Das soll sich nun ändern, indem neue Straftatbestände geschaffen werden.
Aber was soll denn überhaupt unter Strafe gestellt werden? Dabei tauchen gleich zwei Probleme auf, die sich – wie einst das italienische Abwehrbollwerk aus Giorgio Chiellini und Leonardo Bonucci bei der EM 2021 – bedrohlich vor jedem Angreifer aufbauen. Diese Probleme hat Professor Satzger in seinem Vortrag jedoch gekonnt ausgedribbelt. Aber seht selbst:
Da wäre zunächst das Problem der objektiven Zurechnung. Zwar ist der Klimawandel unstreitig auf menschliches Verhalten zurückzuführen. Würde man allerdings auf den Klimawandel und seine Folgen – z.B. Schäden an Individualrechtsgütern wie Leben, Leib und Eigentum durch Extremwetterereignisse – als Taterfolg abstellen, so käme man in erhebliche Beweisnot. Da der Klimawandel erst durch die Kumulation aller individuellen Belastungen entsteht, kann man nur schwer nachweisen, dass der Einzelne durch sein Verhalten eine rechtlich erhebliche Gefahr geschaffen hat, die dann auch den konkreten Erfolg – etwa eine Überschwemmung in Indonesien – herbeigeführt haben soll.
Das ist aber noch kein Grund, vorschnell aufzugeben. Besser wäre es, sich einmal auf die Atmosphäre zu konzentrieren. Und Konzentration ist zugleich das richtige Stichwort. So sollen nicht erst die durch den Klimawandel bedrohten und beschädigten Rechtsgüter, sondern vielmehr die Treibhausgaskonzentration in unserer Atmosphäre als Schutzgut anerkannt werden. Hierbei eignet sich – angesichts lokaler Schwankungen – der global gemittelte Wert am besten als Maßstab.
Als Tathandlung kommt somit jede Belastung der Atmosphäre infrage, entweder durch das Freisetzen positiver Emissionen oder das Zerstören natürlicher Senken, z.B. in Form von Rodungen von Wäldern. Der Taterfolg liegt dann in der Erhöhung der gemittelten Treibhausgaskonzentration, was sich wiederum aus der Summe der positiven und negativen Emissionen ergibt, wobei negative Emissionen als Kompensationen bezeichnet werden. An der Kausalität zwischen der Belastung durch klimaschädliches Verhalten einerseits und der Erhöhung der gemittelten Treibhausgaskonzentration andererseits besteht kein Zweifel. Um jedoch nicht auch neutrale Handlungen – wie das Atmen – oder unerhebliche Handlungen – wie das Anzünden eines Streichholzes – zu bestrafen, werden diese im Wege der objektiven Zurechnung (wegen der hier fehlenden Gefahrschaffung) herausgefiltert.
Soweit, so gut. Aber war da nicht noch etwas? Ja, es gibt einen Begriff, den man so ungern in den Mund nimmt, wie das Zaubervolk den Namen Voldemort – und das nicht nur, weil er etwas sperrig ist: soziale Nützlichkeit. Warum sollte man Handlungen unter Strafe stellen, die seit der Industrialisierung praktisch nicht mehr wegzudenken sind, weil sie die Grundlage für Wirtschaft und Wohlstand bilden?
Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass solche Handlungen kaum mehr von Nutzen sein werden, je weiter sich die Klimakrise zuspitzt und je stärker die verheerenden Auswirkungen des Klimawandels zunehmen werden. Schließlich darf man nicht vergessen, dass Klimaneutralität kein frommer Wunsch ist, sondern ein rechtsverbindliches Ziel, wie es auch im Pariser Klimaabkommen festgelegt wurde.
Es wird deshalb wohl nur eine Frage der Zeit sein, bis sich das Gebot von Klimaneutralität in einem strafrechtlichen Verbot positiver Emissionen niederschlagen wird. Im Moment können wir noch nicht abschätzen, wann es ein Klimastrafrecht geben wird und wie genau es aussehen kann. Aber eins ist sicher: unser Weg zur Klimaneutralität kann ohne das Strafrecht nur länger werden.
Wir danken Herrn Professor Dr. Satzger für den erkenntnisreichen Vortrag und sehen der Schaffung eines Klimastrafrechts mit Spannung entgegen!
PS: Gerne möchten wir auf den Aufsatz "Das Klimastrafrecht – ein Rechtsbegriff der Zukunft" von Herrn Professor Dr. Satzger und Nicolai von Maltitz, LL.M. (Columbia/UvA) in der Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft (ZStW 2021, 1-34) verweisen.
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Freund Rüll & Partner
Graf von Westphalen