Das Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs, das im Jahre 1998 entstanden ist, führt heute vier Tatbestände als sogenannte Völkerrechtsverbrechen. Allerdings wird schon seit einiger Zeit darüber diskutiert, dem ein weiteres Verbrechen hinzuzufügen, ein Verbrechen namens Ökozid.
I. Eine fortwährende Diskussion im Völkerstrafrecht
Derartige Überlegungen zu einem internationalen Umweltstrafrecht, sind keine Neuheit in der Fachwelt. Schon als es im Zuge des Vietnam-Kriegs zu einem massiven Einsatz von Entlaubungsmittel mit entsprechenden Auswirkungen für Mensch und Umwelt kam, wurde eine solche Idee vorgebracht.[1] Über die Jahre wurden hierzu diverse Gesetzesvorschläge eingebracht, welche sich mit der strafrechtlichen Ahndung von Umweltverbrechen auf internationaler Ebene beschäftigten. Für Aufsehen gesorgt hat Polly Higgins 2010, durch ihre Definition eines solchen Tatbestands. Zuletzt intensivierte das Independent Expert Panel for the legal definition of ecocide (IEP) erneut die Debatte in der Fachwelt mit ihrem Vorschlag.[2]
II. Status quo
Anzumerken ist, dass die Ahndung von Umweltschäden dem Rom-Statut schon heute nicht fremd ist. Diese sind nicht nur in Art. 8 Rom-Statut (Kriegsverbrechen) explizit benannt, sondern könnten auch über die anderen bereits existierenden Völkerrechtsverbrechen hergeleitet werden.[3] So könnte ein Umweltschaden beispielsweise als Verbrechen gegen die Menschlichkeit adressiert werden. Ähnlich wird dies durch die Klage gegen Jair Bolsonaro vor dem IStGH versucht.[4] Doch kann ein Umweltschaden nicht für sich genommen geahndet werden. Dieser muss stets direkt in menschlichen Leid oder schweren Gesundheitsschäden enden.[5] Aber was wäre mit Schäden an der Umwelt, welche sich, wenn überhaupt, nur indirekt mit menschlichen Leid verknüpfen ließen?
Auch Art. 8 Rom-Statut wird der besonderen Komplexität von Umweltschäden nicht gerecht, da diese erst im Rahmen eines Konflikts geahndet werden können.[6] Ein hoher Anteil an Umweltschäden wird aber gerade außerhalb von kriegerischen Auseinandersetzungen hervorgerufen.[7] Zudem führen die hohen Tatbestandsvoraussetzungen dazu, dass eine Ahndung beinahe unmöglich ist.[8]
III. Herausforderungen der Ausgestaltung eines Tatbestands
Will man die Sanktionierung von Umweltschäden auf einem internationalen Niveau erreichen, wäre es daher effektiver, einen eigenen Tatbestand aufzustellen. Zudem stehen potenziell verfolgbare Umweltschäden in mehreren Aspekten den Völkerrechtsverbrechen, insbesondere in der Gefährlichkeit ihres Ausmaßes, nicht nach. Zu denken ist etwa an die Bedrohung von menschlichen Kulturen und Folgekonflikte, die mit dem Verlust von Land einhergehen können. Die konkrete Gestaltung eines Ökozid-Straftatbestands ist jedoch in vielfacher Hinsicht herausfordernd. Zunächst müsste ein solcher Umweltstraftatbestand geeignete Tatbestandsschwellen vorsehen. Wie die anderen Tatbestände dürfte auch der Ökozid keine Bagatelle verfolgen, sondern gerade nur Umweltschäden von entsprechendem Ausmaß erfassen. Solche schwerwiegenden Umweltschäden wären zu spezifizieren, um dem principle of legality[9] des Statuts zu genügen.
Grundsätzlich ließe sich für einzelne Tatbestandsmerkmale gut auf bereits vorhandene und anerkannte Begrifflichkeiten aus dem internationalen Recht zurückgreifen.[10] Auch gibt es bereits verschiedene Rechtsordnungen, welche Schäden an der Umwelt behandeln. Möglich wäre eine Anknüpfung daran, was bereits unter nationale Gesetze gefasst ist. Jedoch würde dies zu einer Rechtszersplitterung führen[11] und könnte gar dazu verleiten, nationale Standards herunterzusetzen, um Ermittlungen des IStGH vorzubeugen. Der IEP zieht in seinem Vorschlag[12] eine Verhältnismäßigkeitskomponente heran, welche wirtschaftliche Aspekte beachten und dennoch die Wirksamkeit des Tatbestands nicht beeinträchtigen soll.[13] Schließlich würde auch das mentale Element des Tatbestands Schwierigkeiten mit sich bringen. Zerstören Menschen absichtlich die Umwelt oder ist dies nur Nebenprodukt eines anderen Handelns, wie etwa wirtschaftlichen Projekten?[14] Man könnte, nach Higgins´ Vorschlag, gänzlich auf das Vorsatzelement verzichten. Der IEP wiederum stellt auf eine Art dolus eventualis ab. Alternativ könnte auch auf die Fähigkeit des Erkennenkönnens der Auswirkungen eigener Handlungen abgestellt werden.[15]
IV. Rechtspolitische Hemmnisse
Allerdings muss eine Änderung des Rom-Statuts erst durch einen Vertragsstaat vorgebracht werden und anschließend in der Versammlung mit einfacher Mehrheit über die Behandlung des Vorschlags abgestimmt werden.[16] Des Weiteren müssen einer Änderung des Statuts gem. Art. 121 Rom-Statut zwei Drittel der 123 Mitgliedsstaaten zustimmen. Dabei haben in der Vergangenheit Staaten, wie China, USA und Russland die Akte nicht ratifiziert.[17] Im Hinblick auf die Akzeptanz der Mitgliedsstaaten ist die Vermeidung eines „Umweltkolonialismus“ von Bedeutung. Die Erweiterung des Rom-Statuts darf gerade nicht dazu dienen den status quo der Umwelt in Ländern des globalen Südens zu konservieren, um die daraus resultierenden Vorteile für westliche Länder zu sichern.[18] Auch der Name „Ökozid“ bringt Kritik mit sich. So wird vorgebracht dieser könne den Tatbestand des Genozids relativieren.[19]
V. Ausblick
Von wesentlicher Bedeutung bleibt das weitere Befassen mit der Thematik. Zwar scheint es aufgrund der vielen widerstreitenden Interessen der Mitgliedsstaaten nach wie vor unwahrscheinlich, jemals den Ökozid im Rom-Statut zu verankern. Dennoch bleibt die Diskussion für die wichtige Thematik der Ahndung von Umweltschäden ertragreich.
Tiefere Einblicke in das Thema Ökozid bieten die Arbeiten in unserer Seminararbeitensammlung.
[1] Vgl. Mehta, Merz, Environmental Law Review 2015, 17 (I), 3 (4 f.).
[2] Fn 1; Minkova, Journal of Genocide Research 2021, 1 (5 ff.); Independent Expert Panel for the Legal Definition of Ecocide-Commentary and Core Text (https://static1.squarespace.com/static/5ca2608ab914493c64ef1f6d/t/60d7479cf8e7e5461534dd07/1624721314430/SE+Foundation+Commentary+and+core+text+revised+%281%29.pdf) [27.02.2023]; Falk, Environmental Warfare and Ecocide — Facts, Appraisal, and Proposals, Bulletin of Peace Proposals 1973, 4 (1), 80 ff.
[3] Vgl. Cornelius, Archiv des Völkerrechts 2020, 58 (I), 1 (21 f.).
[4] Klimaschützer verklagen Brasiliens Präsidenten wegen Amazonasabholzung https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-10/jair-bolsonaro-klage-allrise-internationaler-strafgerichtshof-amazonas-abholzung?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.de%2F [17.02.2023].
[5] Fn. 3 (22).
[6] Fn. 3 (22).
[7] Minkova, Journal of Genocide Research 2021, 1 (7).
[8] Vgl. Fn. 3 (22).
[9] Siehe: Ambos/Broomhall, Rome Statute of the International Criminal Court: article-by-article commentary, 4. Aufl 2022, Art. 22 Rn. 1, 9.
[10] Vgl. Fn. 3 (27).
[11] Vgl. Bock, ZRP 2021, 187 (187 f.).
[12] Einsehbar unter https://static1.squarespace.com/static/5ca2608ab914493c64ef1f6d/t/60d7479cf8e7e5461534dd07/1624721314430/SE+Foundation+Commentary+and+core+text+revised+%281%29.pdf [27.02.2023].
[13] Vgl. IEP, Fn. 2.
[14] Vgl. Higgins, Short, South, Crime, law and social change, 2013, 251 (262).
[15] Vgl. IEP, Fn. 2.
[16] Kring, Ökozid als internationales Verbrechen, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/oekozid-definition-anerkennung-internationales-verbrechen-rom-statut-klimaschutz-erderwaermung-cop-26/ [17.02.2023].
[17] Tscharke, Ökozid – neue Kategorie eines Völkerrechtsverbrechens? https://www.rechtverblueffend.com/post/%C3%B6kozid-neue-kategorie-eines-v%C3%B6lkerrechtsverbrechens [26.02.2023].
[18] Vgl. Wefing, Ökozid als Straftat, https://www.zeit.de/gesellschaft/2021-10/oekozid-straftat-phlippe-sands-internationaler-strafgerichtshof-den-haag [27.02.2023].
[19] Bock, ZRP, 2021, 187 (187).The body content of your post goes here. To edit this text, click on it and delete this default text and start typing your own or paste your own from a different source.
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