Gastbeitrag unseres Referenten des Workshops "Steuerrecht und Nachhaltigkeit - Realität, Illusion oder bisher verpasste Chance" – Christoph Horstmann [1]
Setzt man sich mit der Frage auseinander, wie sich Nachhaltigkeit und Steuerrecht miteinander kombinieren lassen, lohnt ein Blick auf die tragenden steuerrechtlichen Prinzipien. Die Ausgangsfrage lautet, mit welchen prinzipiellen Anliegen des Steuerrechts eine stärkere Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten in Widerstreit tritt.
Dabei soll es weniger um Rechtsdogmatik, als um Rechtspolitik gehen. Im Folgenden soll nicht beleuchtet werden, was verfassungsrechtlich geboten ist, sondern an welchen Prinzipien sich der Steuergesetzgeber orientieren kann. Mit dem Begriff Prinzip sind hier politische Leitprinzipien gemeint, die der Steuergesetzgeber befolgen kann. Ob er es zwingend muss, ist eine andere Frage. Der verfassungsrechtliche Rahmen, in dem der Gesetzgeber Nachhaltigkeitsaspekte im Steuerrecht berücksichtigen kann, dürfte weit sein. Es obliegt in erster Linie dem demokratischen Gesetzgeber zu entscheiden, ob er sich punktuell oder umfassend für das Steuerrecht als ein mögliches Werkzeug zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen entscheidet oder für andere Wege, insbesondere regulatorische Verbote oder Subventionen.
Einleitend ist zunächst festzustellen, dass der Begriff „Nachhaltigkeit“ mehrdimensional ist. Nachhaltigkeit ist nach der mittlerweile gängigen, in weiteren Schritten ebenfalls stark konkretisierungsbedürftigen Definition der Überbegriff für ökologische, ökonomische und soziale Anliegen.[2] Entsprechend betrifft die Forderung nach einem Steuerrecht, dass Nachhaltigkeitsaspekte stärker berücksichtigt verschiedenste über den Klimaschutz hinausgehende Fragestellungen.
I. Nachhaltigkeit und Leistungsfähigkeit
Klassisches und vorrangiges Ziel des Steuerrechts ist die staatliche Einnahmenerzielung (s. § 3 Abs. 1 AO). Mit dem Aspekt der Staatsfinanzierung treten nachhaltigkeitsbezogene Aspekte in Konflikt, sofern sie etwa Steuerrabatte für ein gewünschtes Verhalten bieten. Die Aufteilung der zur Staatsfinanzierung erforderlichen Steuern erfolgt zumindest für Ertragsteuern idealtypisch nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip. In überwiegenden Teilen der Steuerrechtswissenschaft wird es als das Fundamentalprinzip des Steuerrechts angesehen.[3] Die Gesamtsteuerlast soll nach der individuellen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auf die Steuerpflichtigen verteilt werden. Auf einer horizontalen Ebene sollen diejenigen Steuerpflichtigen mit gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit die gleiche Steuerlast tragen. Dies soll sich etwa im Abzug von Aufwendungen, die dazu dienen Erträge zu erzielen nach dem sog. objektiven Nettoprinzip äußern. Auf einer vertikalen Ebene sollen unterschiedlich Leistungsfähige eine unterschiedliche Steuerlast tragen. Dies kann, muss sich aber nicht im Einkommensteuertarif äußern.[4]
Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten durch eine Modifikation der zuzuteilenden Steuerlast tritt dazu in Widerspruch. Das bedeutet allerdings nicht, dass entsprechende Regelungen dem Gesetzgeber verfassungsrechtlich versagt sind. Vielmehr müssen die Abweichungen von der gleichheitsgerechten Verteilung der Steuerlast jeweils gerechtfertigt sein.[5]
Der Widerspruch zwischen Leistungsfähigkeit und Nachhaltigkeit lässt sich am Beispiel der Absetzungen für Abnutzung (AfA) diskutieren: Die Vorschriften zur AfA, kurz, in §§ 6 ff. EStG dienen in ihrem Grundkonzept dazu, die Leistungsfähigkeit von Steuerpflichtigen periodengerecht zu berücksichtigen.[6] Die Aufwendungen für Wirtschaftsgüter wären im Jahr ihrer Anschaffung abziehbar. Durch die AfA-Vorschriften wird der Aufwand für bestimmte höherwertige Wirtschaftsgüter auf mehrere Jahre verteilt. Die Leistungsfähigkeit eines Steuerpflichtigen wird nicht im Jahr einer großen Anschaffung um den gesamten Betrag gemindert, sondern kontinuierlich über die Nutzungsdauer des Wirtschaftsgutes. Dadurch entsteht ein Anreiz, vollständig abgeschriebene Wirtschaftsgüter nachzubeschaffen.
Aus gesetzgeberischer Perspektive lässt sich dies nutzen. So wurde etwa im Zuge der Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie zeitlich begrenzt die Möglichkeit zur degressiven Abschreibung[7] wiedereingeführt (§ 7 Abs. 2 EStG n.F.). Dadurch entsteht ein Anreiz für zeitnahe Neuanschaffungen. Eine Möglichkeit für nachhaltigkeitsbezogene Anreize würde hier etwa in attraktiven Abschreibungsmöglichkeiten für bestimmte nachhaltige Anschaffungen liegen. Dabei würde es dem Gesetzgeber obliegen, eine Auswahlentscheidung zu treffen. Die entstehenden Anreize würden nicht einer Bemessung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit entsprechen. Ungleichbehandlungen können aber mit dem Ziel nachhaltigen Wirtschaftens gerechtfertigt werden.
II. Sozialzweck und Äquivalenzprinzip
Im Widerstreit zum Leistungsfähigkeitsprinzip treten insbesondere Vorschriften, die äquivalenztheoretisch fundiert sind. Dem Äquivalenzprinzip folgen Normen, die an eine Gegenleistung anknüpfen. Das können einzelne Vorschriften oder Einzelsteuergesetze sein, die zu einer Abschöpfung nachhaltigkeitsschädlich erlangter Vorteile führen sollen. Sie haben nicht eine Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit zum Ziel, sondern versuchen beitrags- oder gebührenähnlich einen bestimmten Nutzen abzugelten. Das geltende Ertragsteuerrecht berücksichtigt aber – in begrenzten Umfang – auch soziale Aspekte. Angesprochen ist damit das Sozialstaatsprinzip im Steuerrecht. So hat der progressive Einkommensteuertarif eine umverteilende Wirkung. Insofern besteht ein teilweiser Gleichlauf mit der sozialen Dimension des Begriffs „Nachhaltigkeit“. Eine Umgestaltung in Richtung eines stärker äquivalenztheoretisch orientierten Steuerrechts würde die soziale Komponente der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit in gewisser Weise aushöhlen.
Auch im Zusammenwirken mit anderen Gesetzesmaterien kann das Steuerrecht eine Rolle spielen, wenn es etwa zur Vertiefung bestimmter Ziele oder zur Verfolgung neuer Effekte eingesetzt wird. Das betrifft beispielsweise Fälle, in denen eine nicht steuerrechtliche Lenkungsvorschrift, etwa durch ein Abzugsverbot vertieft wird. Als Mittel zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit wurde das Steuerrecht in letzter Zeit häufiger bei der Gewährung von Sozialleistungen eingesetzt. So wurden etwa die Energiepreispauschale und die „Dezember“-Hilfen besteuert, um durch das Eingreifen des Einkommensteuertarifs eine „soziale Ausgewogenheit der Entlastungen“ herzustellen.[8] Denkbar wäre in diesem Kontext beispielsweise ein aus Einnahmen einer CO2-Abgabe ausgeschüttetes Klimageld der Besteuerung zu unterwerfen.
III. Komplexitätssteigerung
Jede Norm, die von der reinen Einnahmenerzielungsabsicht abweicht, führt zu einer Erhöhung des Komplexitätsgrads des Steuerrechts. Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten kann damit der „Einfachheit des Steuerrechts“ widersprechen. Diese wird auch als eine Dimension von Steuergerechtigkeit interpretiert.[9]
Ergebnis sind nicht nur längere Normtexte und eine Flut von Rechtsprechung, Verwaltungsanweisungen und Literatur zu entstehenden Unklarheiten, sondern auch zusätzliche Deklarationspflichten. Eine Komplexitätsüberfrachtung hat zur Folge, dass die resultierenden Effekte nicht mehr eingängig nachvollziehbar sind.
Die Idealvorstellungen von einem „unpolitischen“, das bedeutet frei von anderen als auf die staatliche Einnahmenerzielung abzielenden Normen, Steuerrecht ist allerdings nicht gesetzgeberische Realität. Das Steuerrecht ist für den Gesetzgeber de facto ein wirkungsvolles Werkzeug für Subventionen und soziale Zwecke. Es spricht im Verhältnis dazu nichts dagegen, neben diesen Aspekten auch Nachhaltigkeitsziele stärker zu berücksichtigen.
IV. Nachhaltiges Steuerrecht
Diskutieren lässt sich nicht nur über die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten im Steuerrecht, etwa durch Lenkungssteuern, sondern auch über nachhaltiges Steuerrecht. Solide und planbare Staatseinnahmen sind unerlässliche Voraussetzung für das staatlich organisierte Gemeinwohl. Auch darin liegt für sich ein Nachhaltigkeitsbezug. Betroffen sind auch Themen wie die Verteilung der Steuereinnahmen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden. Klamme Kommunen können schwerlich nachhaltig, also weder ökologisch noch sozial gerecht, wirtschaften. Gleiches gilt für die internationale Zuweisung von Besteuerungsrechten. Auch sie lässt sich unter einem Nachhaltigkeitsaspekt diskutieren.
In der umgekehrten Denkrichtung erschweren es häufige Steuerrechtsänderungen und ausufernde Berichtspflichten den Unternehmen ökonomisch nachhaltig zu wirtschaften. Nachhaltigkeit ist also nicht nur ein Auftrag im Steuerrecht sondern auch an das Steuerrecht.
V. Fazit
Punktuell kann das Steuerrecht ein wirksames Werkzeug zur Verfolgung von Nachhaltigkeitszielen sein. Ein erster Schritt sollte sein, Regelungen abzuschaffen, die offen etwa umweltschädliches Verhalten fördern. Darüber hinaus erfordert die Diskussion von Nachhaltigkeitsaspekten im Steuerrecht eine gewisse Detailtiefe und Differenzierung. Zusätzlich sollte berücksichtigen werden, dass die Herstellung von Nachhaltigkeit allenfalls ein sekundäres Ziel des Steuerrechts sein. Primäres Ziel des Rechtsgebietes bleibt immer die Einnahmenerzielung. Je stärker das Steuerrecht weitere Ziele erfüllen soll, desto weiter entfernt es sich zudem von der Idealvorstellung eines einfachen und aus der Warte des Leistungsfähigkeitsprinzips gerechten Steuerrechts.
[1] Der Beitrag ist eine angepasste Fassung des Impulsvortrags im Rahmen des RuN-Workshops „Nachhaltigkeit und Steuerrecht - Illusion, Realität oder bisher verpasste Chance?“ am 10.2.2023. Er versteht sich entsprechend als Anregung zum Diskutieren und Weitedenken, nicht als vollständige akademische Abhandlung.
[2] Umfassender zum Begriffsverständis z.B. Greil/Kockrow, ifst-Schrift 547, S. 5 ff, insb. auch mit Betonung generationenübergreifender Belange.
[3] Hier nur Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2020, Rz. 3.40: „Tradiertes Fundamentalprinzip der Steuergerechtigkeit“.
[4] Auf die Probleme des Leistungsfähigkeitsprinzips, insbesondere seine verfassungsrechtliche Fundierung und sein konkreter Aussagegehalt soll hier nicht weiter eingegangen werden.
[5] Näher zum Verhältnis von Leistungsfähigkeitsprinzip und Nachhaltigkeit: Horstmann, IStR 2022, 349.
[6] S. etwa Oellerich in BeckOK EStG, § 6 Rz. 2 (14. Edition 1.7.2022).
[7] Bei der degressiven AfA wird mit einem gleichbleibenden Prozentsatz abgeschrieben. Im Ergebnis wird dadurch der absolute Abschreibungsbetrag in jedem fortschreitenden Jahr geringer. Üblicherweise findet die AfA mit gleichbleibenden Abschreibungsbeträgen, d.h. linear statt.
[8] Dazu Horstmann, DStR 2023, 481.
[9] Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2020, Rz. 7.84: „Breite Einigkeit besteht hinsichtlich der Forderung, das Einkommensteuerrecht von Sozialzwecknormen und Steuerprivilegien zu säubern und freizuhalten.“
Vielen herzlichen Dank von Seiten des RuN-Teams für diesen inspirierenden Beitrag!
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