„Bitte wenden! Und zwar sofort!“, so lautet das derzeitige Motto in der Energiepolitik. Doch wie kann eine Energie-„Wende“ nachhaltig erfolgen, ohne Gefahr zu laufen, dass das politische und gesellschaftliche Navigationssystem die Route sofort wieder ändert und auf der Autobahn in die Abhängigkeit von russischem Gas und fossiler Energieträger weiterrast?
Ein Beispiel für eine meines Erachtens gelungene Ausgestaltung einer solchen „Wende“ liefert das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern. Das Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz (BüGembeteilG M-V) [1] räumt (verkürzt dargestellt) Bürger*innen und Gemeinden eine Beteiligungsoption an Windkraftenergieanlagen-Projektgesellschaften ein. Wollen die Windkraftenergieanlagenbetreiber eine ökonomische Partizipation am Unternehmen durch Anlieger*innen der Anlage vermeiden, so wird den Unternehmen als Alternative die Zahlung einer Abgabe auferlegt, die wiederum in die regionale Energiepolitik reinvestiert wird. Das Bundesverfassungsgericht stellt klar, dass diese innovative Mischung formal getrennter Rechtsinstrumentarien einen verfassungskonformen Schritt zur Bewältigung der Transformationsherausforderungen unserer Zeit darstellt.
Doch kann dieser Instrumentenmix funktionieren? Oder stehen dem die Kompetenzregelungen der Art. 70 ff. GG entgegen? Grundsätzlich ist es zulässig, dass der Landes- oder Bundesgesetzgeber Gesetze schafft, die eine Kombination mehrerer Kompetenztitel („Mosaikkompetenz“) enthalten, sofern die Regelungen jeweils denselben Kompetenzträger berechtigen und die Voraussetzungen ihrer Inanspruchnahme gewahrt sind. [2] Es ist dabei eine möglichst eindeutige vertikale Gewaltenteilung zu gewährleisten. Für Zweckmäßigkeitserwägungen ist ebenso wenig Raum wie für am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit oder dem Subsidiaritätsprinzip orientierte Abwägungen. [3]
Betrachtet man das BüGembeteilG M-V, so wird schnell klar, dass hier Mosaiksteinchen aus dem Recht der Wirtschaft, insbesondere dem Gesellschaftsrecht [4] und dem Recht der Energiewirtschaft (Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG) sowie dem Recht der Luftreinhaltung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG) als Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenzen (Art. 72 Abs. 1, 2 GG) im Raum stehen. Daneben prüft das BVerfG, ob auch die Raumordnung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 31 GG), das Bodenrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG) [5] oder die Finanzverfassung betroffen sein könnten. [6] Problematisch wird das Mosaikkonzept insbesondere dann, wenn die Gesetzgebungskompetenz für die Regelung ausschließlich dem Bund zugewiesen ist oder der Bund von seiner konkurrierende Gesetzgebungskompetenz abschließend Gebrauch gemacht hat und den Ländern nicht ausnahmsweise eine abweichende Regelungskompetenz auf den in Art. 72 Abs. 3 GG normierten Gebieten zugewiesen wird. Gerade auf dem Feld der Finanzverfassung Art. 105 ff. GG, welches den Art. 70 ff. GG vorgeht, kann dies schnell passieren. Wie entwirrt also das BVerfG das Kompetenzgeflecht?
Ohne im Detail auf die zwanzigseitige Argumentation des BVerfG zu den unterschiedlichen Kompetenztiteln und der letztlichen Entscheidung für das Energiewirtschaftsrecht als Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz einzugehen, soll hier die zugrundeliegende „Entwirrungs-“Methode beleuchtet werden.
Der Gesetzeswortlaut selbst hüllt sich hierzu in Schweigen. Aus der ständigen Rechtsprechung des BVerfG ergibt sich aber der Grundsatz der Maßgeblichkeit des „Gegenstands des jeweiligen Gesetzes“. [7] Das vom Gesetzgeber in den Blick genommene Gemeinwohlziel – hier der Ausbau erneuerbarer Energien und die Steigerung der Akzeptanz entsprechender Anlagen unter Bürger*innen – darf nach der bisherigen Rechtsprechung nicht als Methode zur Abgrenzung von Kompetenztiteln herangezogen werden. [8] Vielmehr sind im Zweifel, insbesondere, wenn eine Regelung den Kompetenzbereich von Bund und Ländern berührt, Schwerpunkte zu bilden. [9]
Ein Mix aus Gründungs- und Beteiligungspflichten im Gesellschaftsrecht sowie möglicherweise dem Steuerrecht unterliegende Abgabeverpflichtungen, ist schwerlich unter einen Schwerpunktkompetenztitel zu packen. Insbesondere die Alternativität der Maßnahmen und die vielen hinter den Maßnahmen stehenden Erwägungen[10] erhöhen den Argumentationsaufwand des BVerfG und machen die Schwerpunktbildung zur Farce, da sie objektiv einfach nicht möglich ist.
Gerade auf dem Gebiet des Nachhaltigkeits- und Klimarechts erfordern international einzuhaltende Ziele, wie die SDGs (Sustainabilty Development Goals der UN) und CO2-Budgets fußend auf völkerrechtlichen Verpflichtungen aus „Hard" und „Soft Law“, für ihre effektive Umsetzung einen Mix aus verschiedenen Teilregelungen. Die Ausgestaltung effizienter Maßnahmen sollte nicht durch die Kompetenzdogmatik be- oder gar verhindert werden. Dies entspricht auch den Ausführungen des BVerfG, welches in seinem Beschluss vom 18.1.2022 [11] für den Regelungsgegenstand der Emissionsreduktionen die Notwendigkeit weiterer Maßnahmen des Bundes und der Länder zur Erreichung der Klimaschutzziele anerkennt und eine stärkere bundesrechtliche Koordination vorschlägt.
Eine solche Koordination mittels – verfassungsrechtlich zulässiger – Mustergesetze [12] und bundesrechtlicher Öffnungsklauseln würde jedoch den Kompetenzkonflikt nicht lösen, da diese Mechanismen keinen Beitrag zur Bildung objektiver Schwerpunkte leisten. [13] Um koordinierte Regelungen zu erlassen, erwägt das BVerfG deshalb, dass eine vertikale Koordination von CO2-Reduktionsvorgaben im Bund-Länder-Verhältnis angesichts des sektoralen Steuerungsansatzes des Klimaschutzgesetzes hinter der horizontalen Koordination über die einzelnen Emissionssektoren zurücktreten und sich sogar erübrigen könnte.[14] Das heißt: Wollen wir für die Sektoren Energie, Industrie, Gebäude, Verkehr, etc pp. Gesetze erlassen, muss die Verteilung der Regelungskompetenzen nach den strengen Vorgaben der Art. 72 ff. GG auf Bund und Länder insoweit zurücktreten, dass ein Werkzeugkasten aus nachhaltigen Regelungsinstrumenten auf Bundesebene erstellt werden kann.
Dass das BVerfG in seinen Ausführungen die Abschaffung der vertikalen Gewaltenteilung proklamiert, ist nach meiner Einschätzung sicherlich nicht intendiert. Die Idee der Auflockerung der strengen Kompetenzdogmatik ist dagegen meines Erachtens trotz alledem bereits im Beschluss vom 18.1.2022 erkennbar und manifestiert sich dann deutlich im Windkraftenergieanlagen-Beschluss.
Dort führt das BVerfG neben dem objektiven Regelungsgegenstand, der „in erster Linie“ im Rahmen der Kompetenzzuweisung maßgeblich sei, auch den Normzweck, die Wirkung, den Adressaten und die Verfassungstradition als weitere Zuordnungsmaßstäbe an. Insbesondere die Wirkungen – also die Rechtsfolgen der Regelung – und der nach dem objektivierten Willen des Gesetzgebers zu bestimmende Normzweck, werden als maßgeblich für die Kompetenzzuweisung definiert.[15] Im Beschluss wird als Normzweck des BüGembeteilG M-V der Ausbau der erneuerbaren Energien und die Steigerung der Akzeptanz dieses Ausbaus herangezogen.
Bei mehreren Teilregelung ist also neben dem Schwerpunkt auch der Zweck der jeweiligen Regelung zur Entwirrung des Instrumentenmixes und der Zuordnung zu einem Kompetenztitel bedeutsam. Dies kommt durch die Formulierung zum Ausdruck, dass das Gesetz, wenn es „nach seinem objektiven Regelungsgehalt auf mehrere gleichrangige Zwecke ausgerichtet [ist], [...] mehreren Kompetenztiteln zuzuordnen sein [kann]“. Verknüpft man die Erkenntnisse aus beiden Beschlüssen, so müsste dies bedeuten, dass im Umkehrschluss bei Vorliegen eines „höherrangigen Zwecks“, wie der Bekämpfung des Klimawandels oder der Bewältigung der Energiewende bei der Kompetenzzuweisung zweckorientierte Abstriche zu machen sein können.
Das Navigationssystem wird neu programmiert. Die Wende wird eingeleitet – auf allen Ebenen.
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